Vorschau:
„Wenn Sie diese Geschichte erzählen“, fordert Ines von mir ein, „dann erwähnen Sie auch, dass es die Mädchen geschafft haben!“ Ihre Augen glühen, ihr Ton lässt keinen Widerspruch zu. Ich hebe die Rechte und gelobe Gehorsam. Ein halbes Jahr vorher Ich frage meine Oberstufenschüler nach ihrer Selbsteinschätzung. Bevor ich ihnen meine Noten um die Ohren haue, höre ich mir immer gerne von jedem Schüler an, welche Note er aus welchen Gründen für gerecht empfindet. In 9 von 10 Fällen stimme ich überein, in der Tendenz neigen Jungs dazu, ihre Leistung zu über-, Mädchen dagegen die eigene zu unterschätzen. Ich höre mir ihre Einschätzung an und überdenke meine eigene Sicht – zuweilen kommt es vor, dass ich Schüler nicht richtig sehe und dann ist ein Korrektiv hilfreich. Ines meldet sich. Leistungsstark, fleißig, aber eher zurückhaltend. Physik wird wohl nie ihr Lieblingsfach. Sie bewertet sich selbst eine ganze Notenstufe schlechter als ich es täte. Innerlich seufzend trage ich einfach die bessere Note ein und beschließe, ein andermal mit Ines über ihr Selbstbild zu reden. Das Wochenende kommt und geht und am Montag begrüßt mich Ines vor dem Lehrerzimmer. Sie druckst herum, ist sichtlich nervös. „Herr Klinge“, murmelt sie leise, „ich bin mit meiner Note nicht einverstanden und habe Angst, dass Sie mir jetzt die Schlechtere geben, weil ich das so gesagt habe.“ Ich kann nicht anders – ich muss laut lachen. Eine befreundete Beratungslehrerin hatte mich schon vorgewarnt. Bei ihr hatte Ines nämlich vorsichtig gefragt, ob sie es...