Vorschau:
Meine Frau ist Pastorin einer kleinen evangelischen Gemeinde. Wie viele Kirchen erfüllt auch diese den Dienst eines sozialen Netzes – sie verbindet Menschen generationenübergreifend miteinander. Für eine Kirchengemeinde bergen die Gottesdienstverbote nicht nur Herausforderungen, sondern auch die Möglichkeit, eigenen Vorurteilen aktiv zu begegnen. Vor einem halben Jahr erzählte mir eine Kollegin von einer beruflichen Reise, die sie hatte antreten wollen. “Und was machst du mit deinem Kind?”, fragte ich und biss mir augenblicklich auf die Zunge. “Witzig”, erwiderte sie, “hättest du das meinen Mann auch gefragt?” Vorurteile. Der Fauxpas ärgert mich bis heute. Nicht nur uns Lehrern begegnet die Frage nach dem Halbtagsjob regelmäßig: Auch meine Frau wird immer wieder mit der Frage konfrontiert, ob sich ihr Beruf als Pastorin nicht eigentlich auf Sonntagvormittags, zwei Stunden, reduziert. Und, ebenso wie bei den vielen engagierten Lehrerinnen und Lehrern in dieser Zeit, hat sich auch ihr Arbeitspensum durch die Kirchenschließung deutlich erhöht. Die Gottesdienste werden sowohl in Form eines Videos als auch als AudioCD für alle Interessierten bereitgestellt. Neben der konzeptionellen und inhaltlichen Vorbereitung fragt meine Frau im Laufe der Woche einige Gemeindemitglieder an, ob sie diese oder jene Beiträge zum Gottesdienst leisten wollen. Eine Lesung beispielsweise. Oder ein Musikstück. Etwas, dass eine Gemeinschaft am Leben hält. Im Verlauf der Woche...